Erster internationaler NLZ-Neuzugang - Berkay Dogans Leben in der Ferne
Sonntag, 25. Oktober 2020, 10:00 Uhr
Berkay Dogan wollte eigentlich nie Fußball spielen. Nur mit viel Zureden schaffte es seine Mutter, ihn als Vierjährigen für das Training zu begeistern. "Heute", sagt Dogan, "bin ich ihr dafür sehr dankbar." Seitdem hat der Fußballsport das Leben des Österreichers geprägt, durch ihn ist er erwachsen geworden. In einem anderen Land, mehrere hundert Kilometer von Heimat und Familie entfernt, für den Traum vom Profifußball.
Mit 13 Jahren ging es für Berkay Dogan aus Innsbruck nach Salzburg. Kein Fußballtraining mehr mit seinem Vater, der selbst Fußballer in der Türkei war. Keine Familie, die nur eine Zimmertür weiter ein offenes Ohr für seine Sorgen hat. In einem Alter, in dem für einige Jugendliche eine einwöchige Klassenfahrt vor Heimweh noch zur Qual werden kann, entschied sich der Innenverteidiger dazu, über 200 Kilometer von seiner Heimat wegzuziehen. Auf unbestimmte Zeit, ohne vereinbarte Rückkehr. "Damals war es schwer für mich, mit 13 auszuziehen", sagt der Innenverteidiger. "Ich wusste aber, dass die Akademie dort sehr gut ist und ich dahin muss, wenn ich den Traum vom Profifußball, den jeder gehabt hat, verwirklichen will. Nach ein paar Monaten hatte ich mich auch eingelebt."
Der Wechsel nach Salzburg war gleichzeitig sein Schritt in den Leistungssport. Hier wurde er Kapitän in den Nachwuchsmannschaften und avancierte zum österreichischen Nationalspieler. Mit der ÖFB-Auswahl fuhr Dogan im Jahr 2019 zur U17-Europameisterschaft nach Irland. Zwar schieden die Österreicher in der Hammer-Gruppe mit Spanien (0:3), Italien (1:2) und Deutschland aus (1:3). Trotzdem waren die Reise, das Drumherum und die Duelle gegen heutige Bundesliga-Youngsters wie Lazar Samardzic (Leipzig) und Nick Woltemade (Werder Bremen) eine besondere Erfahrung.
Nur wenige Monate später entstand der Kontakt zum FC St. Pauli. Im Spätherbst 2019 überzeugte Dogan in einem Probetraining und wurde im darauffolgenden Winter ein Kiezkicker. "Für uns war er der erste internationale Transfer, den wir vollzogen haben", erklärt NLZ-Leiter Roger Stilz. "Bei dem haben, neben dem damaligen U19-Trainer Timo Schultz und dem Kaderplaner Christian Klose, auch die pädagogische Leiterin Stephanie Goncalves Norberto, Björn Benke als Administrativer Leiter und auch ich als Leiter mitgewirkt. Ein internationaler Transfer ist mit erheblichem administrativem Aufwand verbunden. Es war Teamwork."
Dogan stand vor seinem nächsten Umzug. Der nächsten großen Veränderung in seinem noch jungen Leben. Vor ihm ein neues Land, die große Stadt Hamburg, wieder ein neuer Freundeskreis und neue Teamkollegen. Von der Stadt war er schnell begeistert, sagt er. Der Österreicher mit türkischen Wurzeln bekam einen Platz im Jugendtalenthaus, wo er gemeinsam mit seinen heutigen Teamkollegen Franz Roggow, Paul Meseberg, Justin Seven und Velson Fazlija lebte. Das hat ihm geholfen, um sich schneller einzufinden. "Ich habe dort eine gute Zeit gehabt, es ist sehr familiär", verrät Dogan. "Es hat alles gepasst und hat mir sehr geholfen, mich hier einzugewöhnen."
Lediglich die Corona-Pandemie hat, wie so vielen, auch Dogan einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach dem Saisonabbruch kam er erst im August zu seinem Debüt in Braun und Weiß, zuvor wartete er auf die Spielfreigabe durch die Verbände. Mittlerweile ist der 18-Jährige Stammspieler in der U19 und wurde mit der Mannschaft nach emotionalen Siegen über den HSV und den ETV Hamburger Pokalsieger. "Berkay hat in der aktuellen Spielzeit als aggressiver Leader nicht nur sportlich ein Ausrufezeichen gesetzt", lobt Stilz. "Auch als teamfähiger Unterstützer gefällt uns seine Mentalität. Er arbeitet an sich. Ich bin überzeugt, dass es für seine Persönlichkeit gut ist, sich in der neuen Stadt und im neuen Verein zu etablieren."
Mittlerweile wohnt Dogan alleine in Winterhude. Er hat schon früh gelernt, selbstständig zu sein. Der frühe Gang in die Akademie hat ihn schon in jungen Jahren eine gewisse Verantwortung für sich selbst aufgetragen. "In der Zeit habe ich mich persönlich und auch menschlich sehr entwickelt", erzählt Dogan. "Da ist keine Familie, die für dich kocht und putzt. Auch heute koche ich jeden Tag vor und nach dem Training selbst. Das habe ich dort alles lernen können."
Bei St. Pauli hat der Winterneuzugang schnell Anschluss gefunden. Neben den Spielen in der U19 hat Dogan auch in der U23 schon erste Erfahrungen im Herrenbereich machen dürfen. Er trainiert morgens im Fitnessstudio und abends geht es mit dem Team auf den Platz. "Zurzeit läuft es richtig gut für mich", findet Dogan. Er hat keine Furcht, seinen Weg zu gehen. Und vielleicht kann er dann auch seinen Traum erfüllen.
(ms)
Fotos: FC St. Pauli + Witters