Rise-Against-Sänger Tim McIlrath: „Ich finde es aufregend, wenn sich Sport und Politik vermischen“
Donnerstag, 30. November 2017, 10:00 Uhr
Als Rise Against auf ihrer Europatournee kürzlich Halt in Hamburg machten, ließ die Punk-Band aus Chicago es sich nicht nehmen, für eine Stadionführung am Millerntor vorbeizuschauen. Nachdem sie im FCSP-Museum viel über die Geschichte des Clubs erfahren hatten, überreichte Präsident Oke Göttlich ihnen das T-Shirt und den Schal aus der gemeinsamen Merchandise-Linie. Sichtlich beeindruckt nahm sich Sänger Tim McIlrath (auf dem Foto oben ganz links) anschließend noch Zeit für ein kurzes Interview.
Tim, erzähl uns doch erst einmal, was Ihr bei der Stadionführung erlebt habt.
"Es war großartig! Nach unserer Merchandise-Kollaboration mit dem FC St. Pauli wollten wir uns unbedingt selbst ein Bild von dem Ort machen, an dem die Spiele stattfinden. Im Museum des Stadions haben wir viel über die Geschichte des Clubs erfahren. Danach sind wir an den Umkleidekabinen vorbei aufs Spielfeld gelaufen, haben die Millerntor Gallery und die Tribünen mit den Schriftzügen „Kein Fußball den Faschisten“ und „Kein Mensch ist illegal“ gesehen. Dabei wurde mir erneut klar, dass St. Pauli wirklich ein besonderer Verein ist."
Wie bist Du erstmals auf den FC St. Pauli aufmerksam geworden?
"Durch unsere deutschen Fans. Jedes Mal, wenn wir hier spielten, sah ich T-Shirts im Publikum und fing an mich zu fragen, was es damit auf sich hat. Unsere Fans erklärten mir schließlich, inwiefern St. Pauli anders ist und warum so viele Punk-Rock-Kids den Verein in ihr Herz geschlossen haben."
Was unterscheidet St. Pauli in Deinen Augen von anderen Sportvereinen?
"St. Pauli hat eine klare Haltung gegen Rassismus, Sexismus, Faschismus und Homophobie. Ob es darum geht, Flüchtlinge in Hamburg willkommen zu heißen oder das Trinkwasserprogramm Viva Con Agua zu unterstützen – nicht viele Vereine engagieren sich auf dem Level, auf dem der FC St. Pauli es tut. Der Einfluss des Vereins reicht weit über den Sport hinaus. Man muss sich nicht für Fußball interessieren, um daran zu glauben und dahinter zu stehen, was dieser Club tut."
Was bedeutet Euch die Partnerschaft mit dem FC St. Pauli?
"Als Band haben wir die Erfahrung gemacht, dass Musik ein tolles Mittel ist, um Leute zu erreichen, und wir waren stets kompromisslos, was Politik betrifft. Einen Sportverein zu finden, der das genauso handhabt, ist großartig. Die meisten Teams scheuen sich vor Politik, sie haben nicht das Rückgrat, um sich damit zu befassen. Es ist aber wichtig, denn auf viele Menschen hat Sport einen ähnlichen Einfluss wie Musik. Wenn man das Ganze richtig angeht, kann man dadurch eine Menge Leute erreichen. In Amerika ist letztes Jahr einiges passiert – ich denke zum Beispiel an die Football-Spieler, die bei der Hymne aus Protest gegen Rassismus und Ungerechtigkeit auf die Knie gingen. Ich finde es aufregend, wenn sich Politik und Sport vermischen, und ich sehe da eine Menge Potenzial."
Indem man Haltung zeigt, riskiert man Leute zu verprellen. Trotzdem habt Ihr mit Rise Against stets Eure Meinung vertreten. Warum?
"So sind wir einfach. Schon bevor wir überhaupt nur einen Fan hatten, waren wir so. Es ist Teil unserer DNA. Ich glaube es liegt auch daran, dass wir aus der Punk-Rock-Szene kommen, wo es eben weniger um Karriereambitionen geht, sondern darum zu sagen, was man denkt. Als ich selbst noch im Publikum stand, waren das die Bands, die mich inspiriert haben. Ich wusste: Sollte man mir je ein Mikrofon geben, würde ich das gerne an die Kids im Publikum weitergeben, so dass sie hoffentlich selbst ein Teil davon werden."
Auf der Rückseite des FC St. Pauli Rise Against T-Shirts steht eine Zeile aus einem eurer Songs: „When it all comes down, can you say that you never gave up“. Weshalb habt Ihr diese Zeile ausgewählt?
"In meinen Augen fasst sie perfekt zusammen, was es bedeutet, eine Herausforderung zu bewältigen – ob das nun eine sportliche oder eine politische Herausforderung ist. Wenn alles zusammenbricht, kannst du dann sagen, dass du alles Mögliche getan hast? Das ist die Frage, die die Leute am Ende des Tages für sich beantworten müssen. Hast du dein Bestes gegeben? Hast du es wirklich versucht, oder hast du bloß an der Seitenlinie gesessen?"
Was tut Ihr, um die Welt ein Stückchen besser zu machen?
"Wenn wir Ungerechtigkeiten identifizieren, schreiben wir einen Song darüber und hoffen, dass sich damit jemand im Publikum identifizieren kann. Dass diese Person und wir uns dadurch weniger alleine fühlen. Wir touren mit unserer Musik um die Welt und treffen Menschen, die ähnliche Sorgen haben. Es ist beeindruckend zu sehen, wie viel besser die Menschen sich dank Musik fühlen können. Musik erreicht die Leute auf eine Art, die wir zum Teil gar nicht richtig verstehen."
Würdest Du Dir wünschen, dass es mehr Bands gibt, die offen ihre Meinung sagen?
"Musik muss nicht unbedingt politisch sein. Wenn einem nicht danach ist, in seinen Songs politisch zu werden, sollte man es auch nicht vorgeben. Aber wenn du eine Meinung hast und sie aus kommerziellen Interessen zurückhältst, oder weil du deine Fans nicht vor den Kopf stoßen willst, weil du Angst vor deiner eigenen Courage hast oder davor, Haltung zu zeigen, dann ist das traurig!"
In Anbetracht der Zeiten, in denen wir leben: Welche Probleme und Themen sollten wir als Gesellschaft aktuell als erstes angehen?
"Trump repräsentiert eine sehr rückwärts gewandte Ideologie – nicht bloß in Hinblick auf die amerikanische Politik, sondern weltweit. Seit es Rise Against gibt, waren vier verschiedene Präsidenten an der Macht, aber wer regiert, ist im Grunde gar nicht so wichtig wie die Ideologie. Der Präsident ist das Symptom der Krankheit, aber die Ideologie ist die Krankheit. Diese rechtsradikale Ideologie ist so hasserfüllt. Ich rede von Rassismus, Homophobie, Nationalismus und Sexismus. Einen Präsidenten wie Trump zu haben, der ein Schwindler und ein Feigling ist, ist für die amerikanische Kultur ein großer Rückschritt. Es ist wie ein großer Zirkus. Aber ich glaube dadurch, dass er an der Macht ist, lernen wir eine Menge darüber, wer wir sind. Und hoffentlich sind wir schlauer, wenn all das vorbei ist."
Was würdest Du ändern, wenn Du Präsident wärst?
"(Lacht) Das ist eine gute Frage. Ich würde dafür sorgen, dass es mehr Vereine wie den FC St. Pauli gibt!"
Danke für das Interview!
Foto: Ben Wessler