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Reingrätschen gegen Rechts: Interview mit Reimer Bustorff zum neuen Kettcar-Album

Am Freitag (13.10.) erscheint mit „Ich vs. Wir“ das fünfte Album der Hamburger Band Kettcar. Erste Kritiken loben es als „eines der besten deutschsprachigen Gitarrenalben seit Jahren“ und „wichtiges Statement“ („Intro“). Die VIVA St. Pauli-Redaktion sprach mit Bassist (und St. Pauli-Fan) Reimer Bustorff. Hier findet die ausführliche Fassung unseres Interviews aus der Ausgabe zum Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern.

Moin Reimer! Je älter, desto politischer: Haben Kettcar und der FC St. Pauli das gemeinsam?

(Lacht) Ja, vielleicht! Aber ich weiß gar nicht, ob das so viel mit dem Alter zu tun hat oder eher mit den miesen Zeiten, in denen wir gerade leben – mit dem Gefühl, dass man was machen muss und nicht zufrieden sein kann: mit der Spaltung der Gesellschaft, mit rechtem Gedankengut, damit, wie die Bundestagswahl ausgegangen ist ...

Euer letztes Album hieß „Zwischen den Runden“ – dieses könnte auch „Der Kampf geht weiter“ heißen. Wann kristallisierte sich das Konzept heraus?

Jan Böhmermann hat das ja [mit seinem satirischen Song „Menschen Leben Tanzen Welt“, d. Red.] auf den Punkt gebracht: dass die deutschsprachige Musik im Moment ziemlich am Schwächeln ist und vieles keine Tiefe mehr hat – dass da irgendwas fehlt. So dass wir vor zwei Jahren ungefähr das Gefühl hatten: Da können wir echt nochmal reingrätschen!

In dem Song „Mannschaftsaufstellung“ zeichnet Ihr ein düsteres Bild von „Team Deutschland“ – von der „Doppelsechs, die alles Fremde ins Abseits stellt“ über den „Populisten, der die Abwehr durchbricht“ bis zu „einem, der die Steine schmeißt“ und der „schweigenden Mehrheit als ‚Zwölfter Mann’“ ...

Im Grunde ist der Fußball in dem Text nur der Objektträger. Die Idee dahinter war: „Wenn sich ein Land so aufstellt, wie es in dem Song dargestellt ist, dann bin ich kein Fan mehr von diesem Land. Dann will ich kein Teil davon sein.“

Fußball und Musik haben etwas gemeinsam: Man hört immer wieder, dass das eine wie das andere doch bitte „unpolitisch“ sein soll. Was antwortest Du auf solche Gedanken?

Das war bei uns noch nie so. Ich bin sozialisiert mit Punk und Hardcore, und da hatte Musik fast immer politische und gesellschaftskritische Inhalte. Das war und ist mir immer noch wichtig. Wenn jemand sagt, Politik hat nichts im Fußball zu suchen, finde ich das genauso falsch. Ich bin seit den 80ern in diversen Stadien unterwegs gewesen und hab da viel mitbekommen, auch viel Hass, viel Rassismus, Homophobie ... Da muss man sein Maul aufmachen, dagegen angehen und Position beziehen!

Ein wichtiges Thema Eures Albums ist die Ambivalenz der Masse: Ein Wir kann Solidarität bedeuten und gemeinsam Utopien von besseren Welten erträumen – aber auch zum Mob aus „besorgten Bürgern“ werden, die „Verräter“ hängen wollen ...

Nach dem Erfolg der AfD kam von dem Gauland: „Wir holen uns unser Land zurück“. Da fragt man sich doch: „Für wen spricht der?“ Das ist genau das Bild, das der Song „Wagenburg“ beschreibt: Wer ist „Wir“ und wie positioniere ich mich in dem Ganzen? Und warum wird immer so schnell für alle gesprochen?

Könnte man sagen, dass der Fußball den grundsätzlichen Zwiespalt des Albums symbolisiert? Im Fußball schießt ja auch ein Ich das Tor. Aber ohne das „Wir“ hätte es die Möglichkeit nicht ...

Im Grunde spiegelt das das ganz gut wieder: Dass natürlich schon Teamgeist und Teamgedanke da sein müssen – dass es aber auch wichtig ist, dass jeder Platz für den anderen lässt. Man weiß ja selber, wie oft der Torschütze hinterher sagt: „Es ist nicht wichtig, dass ich das war. Ohne die Leute hinten hätte ich das Tor nicht geschossen.“

Ist der FC St. Pauli so etwas wie eine Möglichkeit des guten „Wir“, des solidarischen, schützenden, für eine positive Idee kämpfenden Wir?

Total! Ich finde, dass man am Millerntor immer das Gefühl hat, man ist mit seinen Leuten auf der guten Seite. Stolz ist ein doofes Wort – aber das ist etwas, von dem ich gerne Teil bin.

Bist Du bei allen Heimspielen dabei, wenn Ihr nicht auf Tour seid?

Auf jeden Fall. Wir sitzen alle mit Dauerkarte in der Gegengerade. Nur unser Schlagzeuger nicht (schmunzelt). Marcus [Wiebusch, der Kettcar-Sänger, d. Red.] und ich gehen schon ewig hin. Erst in der Nord, und als dann irgendwann der Rücken wehtat, sind wir in irgendeiner Regionalligasaison auf die Sitzplätze gegangen.

Wie darf man sich Reimer Bustorff beim Supporten vorstellen?

Auf jeden Fall steh ich auch gerne mal auf (lacht). Und sag den Spielern, wo sie hin spielen sollen. Von da oben hat man eine schöne Übersicht und weiß immer alles besser.

Wie schätzt du die Chancen in der aktuellen Saison ein?

Alles in allem sehe ich das ganz positiv, aber ich glaube nicht, dass wir über einen Aufstieg reden müssen. Dafür ist die Leistung nicht konstant genug. Auswärts sind wir ja der Knaller, aber zu Hause muss noch ein bisschen was passieren.

Der obligatorische Schluss: Dein Tipp fürs Lautern-Spiel?

3:1. Wobei ich mich frage, wer bei Lautern das Tor schießen soll. Wenn Robin Himmelmann die Leistung aus dem Braunschweig-Spiel hält, dann geht eh keiner rein.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit dem neuen Album!


Weitere Infos:

Ich vs Wir im GHvC-Shop: KLICK!

Infos zum Pre-Listening: KLICK!

 

Hinweis: Am Donnerstag (12.10.) findet in der 1910-Weinbar im Foyer des FC St. Pauli-Museums in der Gegengerade des Millerntor-Stadions ein öffentliches Pre-Listening mit Mitternachtsverkauf des neuen Albums statt. Ab 21 Uhr geht es los, der Eintritt ist frei. 

 

(cn)

Foto: Andreas Hornoff

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